All language subtitles for Anatomie.eines.Falls.2023.German.AC3.WEBRip.x264-ZeroTwo_ger

- Entschuldige.
- Ist okay.

Also...

Was wollen Sie wissen?

Moment, die Aufnahme läuft noch nicht.

So.

Wie Sie den Unfall des Sohns beschreiben...

Komm, Snoop!

Das könnte Ihr eigenes Leben sein.

Kann man nur über Dinge schreiben, die man erlebt hat?

Los. Da rein!

Rein mit dir. Hopp!

...und das inspiriert mich zu einer Geschichte,

also kommen Sie in meinem Buch vor,

und schon spielen Sie eine Rolle.

Selbst wenn ich Sie nicht kenne.

Sie interessieren mich. Wirklich.

Aber dazu mussten Sie mich zuerst kennenlernen.

Ich existiere, ich sitze hier vor Ihnen.

Ja, tatsächlich.

Sie gehen also von etwas Reellem aus,

wenn Sie etwas Fiktives schreiben.

Ihre Bücher sind eine Mischung aus Realität und Fiktion.

Der Leser möchte herausfinden, was was ist.

Ist das Ihr Ziel?

Okay, raus mit dir.

Snoop, komm!

Ich trockne dich ab. Jetzt bist du wieder sauber.

Kein Dreck mehr.

Worüber würden Sie schreiben?

Das ist Samuel, mein Mann. Er arbeitet oben.

Was interessiert Sie, was macht Sie wütend,

worüber wollen Sie mehr erfahren?

Vergessen Sie Ihre Diplomarbeit, Ihr Studium.

Ich will nicht Schriftstellerin werden.

Vergessen Sie das Schreiben, wir können auch nur reden.

Darf ich Ihnen keine Fragen mehr stellen?

Doch, klar. Aber wir können auch nur reden.

Wir stellen uns gegenseitig Fragen.

Dann sind alle zufrieden.

Eine normale Diskussion.

Interessiert es Sie wirklich...

Was Sie so interessiert? Ja, klar.

Ich sehe kaum Leute, bin den ganzen Tag allein,

also klar, ich finde Sie interessant.

Ich laufe.

Ich liebe es.

Laufen gibt mir ein Gefühl, als wäre ich high.

Haben Sie Erfahrung mit Drogen?

Das ist meine nächste Frage.

Total viel.

Ich würde nicht alles aufschreiben. -Nein.

Wir hätten uns besser in Grenoble getroffen.

Schon gut. Ich mache mir Notizen.

Aber ich habe sehr viele Fragen.

Vielleicht haben Sie nicht so viel Zeit.

Keine Sorge, die Zeit ist nicht das Problem.

Ich möchte mit Ihnen über die Erzählkunst...

Ich mache nicht gerne Sport.

Spazieren gehen, okay. Aber laufen, nein!

Okay, verstehe.

Also,

Sie...

Schwierig, oder?

Ja. -Lassen Sie uns aufhören, Zoé.

Wenn ich in Grenoble bin, rufe ich Sie an, okay?

Tut mir leid.

Bis bald. -Ja, unbedingt.

Langsam.

Papa... Mama!

Mama!

Mama, komm schnell!

Ja...

Nein, keine Ahnung.

Ich habe ihn weder bewegt noch angefasst.

Er atmet nicht, deshalb rufe ich an.

Kommen Sie, ich kann Ihre Fragen nicht beantworten.

Nein, er bewegt sich nicht. Bitte kommen Sie.

...Samuel Maleski, tot vor seinem Chalet aufgefunden...

Ich drehe ihn jetzt um.

Grossaufnahme.

Nahaufnahme.

Ich diktiere ein paar erste Ideen.

Sie gehören vor die Schlussfolgerungen.

Die oberflächlichen Schürfungen

an Händen und Unterarmen

zeigen, dass die Leiche sich nach dem Aufprall bewegte,

bevor sie auf dem Rücken zu liegen kam.

Das Hämatom und das Hirntrauma lassen

einen Zusammenstoss mit einem stumpfen Gegenstand

oder einen Schlag auf den Kopf vermuten.

Die Verletzung passt nicht zur Positionierung,

d.h. sie wurde vor dem Aufprall am Boden zugefügt.

Wir können noch nicht mit Sicherheit sagen,

ob es ein Zusammenstoss oder ein Schlag war.

Fremdeinwirkung ist nicht auszuschliessen.

Dann das Übliche.

Todesursache: Kopftrauma.

Gerichtsmedizinisches Urteil:

Unfall und/oder Vorsatz.

Eine toxikologische Analyse ist erforderlich.

ANATOMIE EINES FALLS

Danke, dass du gekommen bist.

Komisch, dass wir uns so wiedersehen.

Stimmt.

Ich wusste nicht, dass es hier so hoch ist.

Komm.

Wohnt ihr schon lange hier?

Nicht ganz zwei Jahre.

Samuel ist hier aufgewachsen. Es ist sein...

Wie gehen wir vor?

Stellst du mir Fragen und...

Sorry, mein Französisch ist nicht besser geworden.

Englisch ist okay.

Wie oft wurdest du vernommen?

Einmal hier von der Polizei

und einmal vom Untersuchungsrichter.

Was hast du ihnen

über den Tag, an dem er starb, erzählt?

Alles, von meinem Interview mit der Studentin,

bis zum Eintreffen des Krankenwagens.

Diese junge Frau besuchte mich,

und Samuel hörte Musik,

um mich zu nerven und sie zu vertreiben.

Hast du das ihnen so gesagt?

Nein.

Nur, dass die Musik zu laut war und wir aufhörten,

weil sie das Interview nicht mehr aufnehmen konnte.

Du musst mir genau sagen,

was du ihnen erzählt hast.

Ich sagte, dass ich das Interview beendete.

Dass sie wegfuhr. Dass ich in mein Zimmer ging

und sah, dass Daniel spazieren ging.

War er nicht in der Schule?

Nein, Schule ist nur zweimal pro Woche in Grenoble.

Wie alt ist er schon wieder? -Elf.

Nachdem die junge Frau weg war,

kam Samuel in mein Zimmer.

Er fragte, was wir an dem Tag noch machen.

Nichts Spezielles.

Er ging wieder, und ich arbeitete im Bett.

Hast du geschrieben? Auf dem PC?

Ja, ich machte eine Übersetzung.

Für ein deutsches Magazin, als Nebenverdienst.

Und...

Er arbeitete weiter, ich hörte die Musik,

ich würde sagen, ungefähr

zehn Minuten lang.

Ich wollte mich ausruhen und setzte Ohrstöpsel ein.

Und dann...

schlief ich ein.

Eine Stunde später

hörte ich Daniel schreien und...

Ein Ohrstöpsel war rausgefallen,

deshalb hörte ich ihn.

Die Musik lief noch. Ich rannte runter und...

Ja.

30 Minuten später kam der Krankenwagen.

Darf ich mich umschauen? -Klar.

Wo willst du anfangen? Soll ich dir erzählen...

Ja, vielleicht. -Okay. Also...

Hier essen wir.

Also...

Er arbeitete da oben? -Ja, er isolierte den Dachstock.

Er war also über dir, als du schliefst?

Das war sein nächstes Projekt.

Hier sollten B&B-Zimmer entstehen.

Hier arbeitete er also?

Die letzten Tage, ja.

War das Fenster

offen, als der Krankenwagen eintraf?

Ja, war es.

War es immer offen?

Keine Ahnung.

Manchmal lüftete er

wegen des Holzstaubs.

War er leichtsinnig

oder risikobereit bei der Arbeit?

Nein, er war vorsichtig,

sorgfältig, arbeitete langsam.

Hat er sich vielleicht

aus dem Fenster gelehnt, um dich zu rufen?

Oder Daniel?

Nein, wenn er arbeitete und Musik hörte,

kapselte er sich total ab.

Wenn er hier oben war, rief er uns nie.

Jedenfalls ist dieses Fenster sehr hoch...

Hatte er getrunken? -Nein, tagsüber trank er nie.

Vor allem nicht, wenn er arbeitete.

Liebling...

Steh auf und zieh dich an. Es ist hell draussen.

Ich weiss, dass es hart ist. Für mich auch.

Und das wird noch eine Weile dauern.

Aber unser Leben geht weiter.

Monica ist da, sie hat Tiramisu gemacht.

Du kannst dich nicht tagelang einschliessen.

Es ist schönes Wetter, und Snoop muss mal raus.

Daniel, isst du mit uns?

Ich will schlafen.

Okay, iss mit uns, danach kannst du schlafen.

Ich verstehe es nicht.

Niemand versteht es.

Man kann es nicht verstehen.

Ich muss es verstehen.

Ich war doch bei diesem Psychiater,

nachdem Alain gestorben war, ja?

Monica, bitte.

Ich möchte nicht, dass du...

Er hat mir geholfen.

Aber er ist ein Kind. Das ist was anderes.

Monica und ich besprechen das.

Er hat auch schon Kindern geholfen.

Möchtest du?

Was kann ich für dich tun?

Nichts, alles gut.

Du glaubst nicht daran, aber vielleicht kann er helfen.

Er spürt Dinge, die wir nicht spüren.

Vincent, Anwalt und ein alter Freund,

Monica, Daniels Patentante.

Ich ruf dich an. -Sag mir, ob er isst.

Teller?

Ich kann nicht mehr weinen.

Ich bin so erschöpft.

Möchtest du Parmesan? -Ja.

Keine Ahnung, wo der Pfeffer ist. -Lass nur.

Der Autopsiebericht ist nicht eindeutig,

was die Todesursache angeht.

Der Rechtsmediziner hat nicht genug Beweise.

Aber...

Wir gehen für die Verteidigung davon aus,

dass er aus dem Dachfenster stürzte

und dann auf dem Schuppendach aufschlug.

Sein Kopf touchierte hier irgendwo die Kante.

Siehst du?

Dann wäre er ungefähr hier auf dem Boden aufgeschlagen.

Er kroch noch ein oder zwei Meter,

bevor er dann hier zusammenbrach.

Das erklärt das Blut im Schnee.

Aber das erste Problem ist,

dass auf dem Dach keine DNA gefunden wurde.

Und an der Wand sind nur diese drei Blutspritzer.

Das passt nicht zum Aufprall des Kopfs auf dem Dach.

Das Gericht holt eine Expertenmeinung ein.

Was hältst du davon?

Ich habe keine Ahnung von Blutspritzern.

Aber ich kenne da eine Expertin.

Ich werde sie fragen.

Und wir haben noch ein Problem.

Das Hämatom auf deinem Arm.

Es könnte von einem Kampf oder Streit sein.

Wann haben sie's entdeckt?

Bei der Untersuchung am gleichen Abend.

Konntest du ihnen eine Erklärung geben?

Ich weiss, woher es ist. Soll ich dir's zeigen?

Ich stosse mir hier dauernd den Arm.

Wenn ich hin-und hergehe.

Das passiert mir echt die ganze Zeit.

Ich sagte, dass ich dauernd blaue Flecken habe,

und dass Daniel das bestätigen kann.

Okay.

Sie werden nicht von einem Unfall ausgehen,

nur schon wegen der Höhe des Fensterbretts.

Deshalb werden sie ermitteln wegen...

Und du bist...

Es ist ein "verdächtiger Todesfall".

Du bist die einzige Zeugin, die vor Ort war.

Und zudem bist du seine Frau.

Einen Unbekannten zu suchen, der das Haus betritt

und ihn tötet,

während du schläfst und Daniel weg ist,

wäre eine schlechte Strategie.

Samuel hatte keine Feinde.

Ich habe ihn nicht getötet.

Darum geht es nicht.

Wirklich nicht.

Wer war Samuel?

Wie ging es ihm in letzter Zeit?

Gibt es irgendeinen Hinweis

auf einen Selbstmord?

Daran dachte ich natürlich auch.

Aber mit Daniel in der Nähe wäre er nie gesprungen.

Das kann ich mir nicht vorstellen.

Aber wahrscheinlich ist das unsere beste Verteidigung.

Wenn sie dich anklagen,

haben wir nichts anderes.

Er ist gestürzt.

Das glaubt dir niemand.

Selbst ich nicht.

Ich muss eine rauchen.

Da ist etwas, was ich dir sagen muss.

Vor rund sechs Monaten

fragte ich mich,

ob Samuel Tabletten nahm.

Er war betrunken, lag bewusstlos am Boden.

Er hatte erbrochen. Es war ganz früh am Morgen.

Da waren ein paar weisse Punkte

im Erbrochenen,

und ich fragte mich, ob es Tabletten sind.

Ach ja?

Habt ihr darüber geredet?

Nein, das wollte er nicht.

Hat Daniel was gesehen?

Hast du keinen Arzt gerufen?

Nein, damals war mir nicht bewusst,

dass das vielleicht ein Selbstmordversuch war.

Weiss sonst noch wer davon?

Ich rufe dich wieder an.

Tschüss.

Blendet es dich?

Soll ich die Storen runtermachen?

Alles gut. -Ja?

Was war, wenn deine Eltern Streit hatten?

Ich erinnere mich nicht wirklich daran.

Wenn sie sich anschrien, ging ich.

War einer von ihnen jeweils aggressiver?

Nein.

Gingst du am Todestag auch, weil sie sich stritten?

Nein, ich hatte Lust auf einen Spaziergang.

Aber du hast deine Eltern gehört, als du gingst?

Weisst du, worüber sie sprachen?

Nein. Aber es war kein Streit.

Ich verstand kein Wort, aber...

Du weisst also nicht, ob sie gestritten haben.

Doch. Es war kein Streit.

Die Musik war laut, du warst draussen.

Sie waren im Zimmer deiner Mutter im zweiten Stock.

Wie kannst du dir da sicher sein?

Ich frage mich, ob du überhaupt was gehört hast.

Ich stand unter dem offenen Fenster.

Ich weiss, was ich gehört habe.

War's das?

Wieso weisst du so genau, wo du gestanden hast?

Weil ich das Gaffa-Tape

am Schuppen berührte.

Gaffa-Tape? -Als wir einzogen,

brachte Papa überall verschiedenes Klebeband an,

damit ich mich zurechtfinde.

Manchmal orientiere ich mich immer noch daran.

Ich kann die Tapes genau unterscheiden.

Es war das Tape am Schuppen.

D.h., ich stand unter dem Fenster. -Okay.

Das ist das Transkript Ihrer Aussage.

Aber ich sprach nicht Französisch.

Es geht grad nur um die Lautstärke,

und Französisch ist für alle einfacher.

Hélène, Musik.

War's gut? -Ja, nichts Spezielles.

Was machen wir heute noch?

Keine Ahnung, ich bin müde. Ich muss noch arbeiten.

Und ich? -Wolltest du nicht oben weiterarbeiten?

Machen Sie die Musik aus. -Aus.

Und? -Hast du irgendwas gehört?

Noch einmal, jetzt lauter.

Lauter? Aber ich schrie nicht.

Wir spielen das

wegen der Lautstärke nach.

Vincent, ich schrie nicht.

Sie schrie nicht. Ihr Sohn sagte, es klang ruhig.

Das kann nicht sein. Die Musik übertönt alles.

Meine Klientin schrie nicht.

Und jetzt schreit sie auch nicht.

Sie spielen jetzt Frau Voyter.

Kommen Sie, bitte.

Musik. -Musik an!

War's gut? -Ja, nichts Spezielles.

Was machen wir heute noch?

Keine Ahnung, ich bin müde. Ich muss noch arbeiten.

Noch einmal, lauter.

War's gut? -Ja, nichts Spezielles.

Was machen wir heute noch?

Keine Ahnung, ich bin müde. Ich muss noch arbeiten.

Und ich?

Wolltest du nicht oben weiterarbeiten?

Musik aus.

Jetzt können sie's hören. Okay.

Das ist doch lächerlich, oder?

Sparen Sie sich Ihren Kommentar.

Die Stimmen waren ruhig.

Dann hast du sie nicht gehört.

Und?

Kann ich mal im Haus bleiben?

Sie sollen nicht schreien.

Okay.

Ich habe mich geirrt. -Musik aus.

Das ist das Band. Ich war im Haus.

Ich hab's verwechselt. -Vorher sagtest du was anderes.

Zoé Solidor sah, wie du aus dem Haus gingst.

Und deine Mutter sprach erst danach mit deinem Vater.

Ich habe mich geirrt.

Du hast dich geirrt.

Das war ganz schön hart heute, was?

Ich bin sauer auf mich.

Ich dachte, ich bin sicher, aber...

Aber du hast nicht gelogen, oder?

Du sollst deine Erinnerungen nicht verändern.

Erzähl ihnen, was du noch weisst.

Damit schadest du mir nicht.

Gib mir die Hand.

Was machen wir jetzt?

Möchtest du was trinken? Einen Whisky?

Komm her.

Tut mir leid.

Ich kann Ihnen nur sagen,

dass das Verhör noch eine Weile dauern wird.

Sie wird seit acht Stunden verhört.

Steckt sie in Schwierigkeiten?

Sandra Voyter steckt nicht in Schwierigkeiten.

Sie ist unschuldig,

also wird es kein Geständnis geben.

Es soll ein neues Video aufgetaucht sein.

Belastet es sie?

Sie hören mir nicht zu.

Sie steht nicht unter Anklage und nichts belastet sie.

Dieses Video ist ein Mythos.

Bis jetzt hat es noch niemand gesehen.

Sie bestätigen also, dass es ein Video ist?

Nein. Ich habe genau das Gegenteil gesagt.

Wieso dann die Vorladung?

Dazu kann ich Ihnen nichts sagen.

Wir verstehen es auch nicht. Danke.

Danke, dass Sie hier sind,

für die Stellungnahme des Staatsanwalts.

Sandra Voyter wurde heute um 8:30 Uhr angeklagt.

Und zwar aufgrund

der Ermittlungsergebnisse.

Drei davon stechen heraus.

Die Analyse der Blutspritzer von Herrn Maleski

am Wohnort des Paars lassen darauf schliessen,

dass er einen kräftigen Schlag

auf den Kopf bekam,

als er auf dem Balkon im zweiten Stock war.

Die Nachstellung vor drei Tagen

brachte mehrere Unstimmigkeiten zu Tage.

Und dann tauchte da auch noch ein USB-Stick

von Herrn Maleski mit einer Datei auf.

Dazu kann ich momentan nur sagen,

dass es eine Aufnahme des Paares ist,

die am Tag vor seinem Tod entstand.

Sie kann nicht zu Ihnen kommen,

weil sie vom Gericht festgehalten wird.

Ich bin Vincent Renzi, ihr Anwalt,

und ich hole die Unterlagen für sie ab.

Nein, um 11 Uhr geht nicht.

Wie wär's in 20 Minuten?

Okay. Danke, bis gleich. -Gute Neuigkeiten.

Bollène ist unsere Richterin, nicht Da Silva.

Ich muss kurz zur Bank. -Und die Hypothek?

Reicht nicht. Sie haben finanzielle Probleme.

Ausstehende Kredite und so.

Die Bank gibt uns nur 50'000.

Die Kaution ist sicher höher.

Ihr Sohn ist ein Zeuge.

Er wird vor Gericht aussagen.

Sie könnte ihn unter Druck setzen.

Deshalb verlangen wir,

dass sie nicht auf Kaution freigelassen wird.

Bitte behalten Sie Frau Voyter in U-Haft.

Danke. Bitte, Frau Boudaoud.

Wie können Sie von Fluchtgefahr reden,

wo sie doch einen Sohn hat?

Und er ist erst noch sehbehindert.

Und sie ist in den Medien.

Eine Trennung könnte Daniels Trauma verschlimmern.

Mit vier hatte er einen Unfall,

deshalb die Sehbehinderung. Er ist traumatisiert,

psychisch und emotional.

Frau Boudaoud, eine Reaktion?

Ich habe selten Lob für Gerichtsentscheide übrig.

Eine Richterin, die sich dem repressiven Druck

nicht beugt, ist aber ein gutes Zeichen.

Die Freilassung unter richterlicher Aufsicht

unterstreicht, wie unzulänglich der Fall ist.

Ist Ihre Klientin somit entlastet?

Ein seltener Entscheid in Zusammenhang

mit einer Anklage wegen Totschlags.

Die Reaktionen im Gerichtsgebäude waren heftig.

Ich zitiere: "Eine gefährliche Entscheidung.

Die Angeklagte und der Hauptzeuge im gleichen Haus.

Was bedeutet das für die Gerichtsverhandlung?"

Wieso hast du mir das nicht gesagt?

Ich wusste nichts von diesem Video. -Und?

Ihr habt am Tag vor seinem Tod gestritten.

Das Video entspricht nicht der Realität.

Es ist ein Teil davon, und wenn man sich

auf einen so intensiven Moment konzentriert,

wirft das alles über den Haufen.

Ein bombensicherer Beweis, der alles verzerrt.

Das sind unsere Stimmen, aber das sind nicht wir.

Realität hin oder her.

Du musst dich so wahrnehmen,

wie die anderen dich wahrnehmen.

Bei einem Prozess geht's nicht um die Wahrheit.

Es gibt einen Prozess? -Ja, klar.

Was wirklich zählt, sind...

die, die dir nahestehen.

Da ist niemand. -Doch, Daniel.

Daniel ist wichtig.

Hatten Samuel und du Freunde?

Ich wollte nicht hierherziehen,

ich war total glücklich in London.

Er wollte es unbedingt.

Er sagte, hier könne ich in Ruhe arbeiten.

Und es würde unsere finanziellen Probleme lösen.

Ich liess mein Scheisskaff in Deutschland hinter mir,

um in seinem Scheisskaff zu enden.

Das ist doch absurd.

Hallo.

Hallo, Liebling.

Das ist Frau Berger vom Justizministerium.

Vincent Renzi, Nour und ich arbeiten zusammen.

Sie wird euch regelmässig besuchen,

Daniel und Sie.

Die Häufigkeit wird noch festgelegt. Sie

vergewissert sich, dass alles in Ordnung ist.

Und dass niemand versucht, Daniel zu beeinflussen

oder ihn überreden will, am Prozess

Dinge zu sagen, die er nicht sagen will.

Bitte sprechen Sie in ihrer Anwesenheit Französisch.

Ja.

So.

Kann ich allein mit Daniel reden?

Okay, gehen wir?

Ich rufe dich an.

Deine Mutter lässt uns kurz allein.

Ich heisse Marge.

Wir werden uns oft sehen.

Weisst du, wieso ich hier bin?

Ist das okay für dich?

Wenn du willst, sind wir Freunde.

Oder auch nicht. Deine Entscheidung. Was meinst du?

Na ja. Ich...

Ich brauche keine Freunde.

Ich bin zum Schutz deiner Aussage hier.

Von Gesetzes wegen.

Und das Gesetz hat keine Freunde.

Es kann mit niemandem befreundet sein,

weil es für alle gleich sein muss.

Du hast recht, wir können nicht Freunde sein.

Sag mir einfach, wenn etwas Komisches passiert,

wenn etwas nicht gut ist, keine Ahnung,

zum Beispiel mit deiner Mutter oder mit dem Prozess.

Über solche Sachen rede ich sonst mit meinen Freunden.

Ja.

Aber jetzt hast du keine Wahl.

...mit Schokoladestücken...

und Himbeeren...

Ich will etwas, das es nicht gibt.

Die Socken der Erzherzogin...

Was?

Die Socken der Erzherzogin...

Ich kannte niemanden wie ihn...

Wenn er einen Raum betrat, verlagerte sich alles,

die Stimmung veränderte sich.

Er hatte Charme.

Ich verliebte mich in seinen Charme.

Meine Familie

und Freunde verstand ich nie.

Als ich ihn kennenlernte, hatte ich das Gefühl,

seine Worte und Signale

zu verstehen.

Wir waren uns nicht immer einig, aber...

Wir hatten uns etwas zu sagen.

Das merkte ich erst, als es nicht mehr so war.

Das würde ich nicht sagen.

Konzentriere dich auf ihn.

Auf euer Kennenlernen.

Er bekam einen Job an der Uni in London.

Wir zogen zusammen dahin.

Er war ein grossartiger Lehrer.

Bei ihm klang alles lebendig und zugänglich,

es war genial.

Aber das reichte ihm nicht,

und...

Eigentlich wollte er schreiben.

Er arbeitete jahrelang an einem Roman.

Er bemühte sich sehr, es war hart.

Mir wurde klar,

dass sein Verhältnis zur Zeit, zur Arbeit

ganz anders war als meins.

Nein, du darfst ihn nicht mit dir vergleichen.

Sprich über eure Beziehung.

In unserer Beziehung ging es vor allem

um geistige Stimulation,

wobei wir alles andere vernachlässigten.

Alles andere?

Meinst du damit Daniel?

Wir sollten Daniel früh einbringen.

Und damit meine ich den Unfall.

Ich wusste nicht, dass es...

Geht's? -Ja.

Ich wusste nur nicht, dass es so...

dass es so sein würde.

Nach dem Unfall änderte sich alles.

Daniel war vier.

Samuel sollte ihn von der Schule abholen.

Aber er war ins Schreiben vertieft.

Er organisierte eine Babysitterin,

die dann zu spät kam.

Beim Überqueren der Strasse wurde Daniel angefahren.

Sein Sehnerv wurde dauerhaft beschädigt.

Danach

wurde Samuel obsessiv,

er machte sich dauernd Vorwürfe.

Hätte er ihn doch nur pünktlich abgeholt...

Er hatte Schuldgefühle.

Über die er nie hinwegkam.

Wir verbrachten ein ganzes Jahr im Spital,

bei Daniel.

Dann fingen die finanziellen Probleme an,

und Samuel nahm Antidepressiva.

Können wir das auslassen?

Das möchte ich Daniel gern ersparen.

Wir versuchen's.

Aber klar, ich werde...

dieses und jenes zugeben müssen.

Du musst dich darauf gefasst machen, alles zu erzählen,

und zwar auf Französisch.

EIN JAHR SPÄTER

Interessiert es Sie wirklich...

Was Sie so interessiert? Ja, klar.

Ich sehe kaum Leute, bin den ganzen Tag allein,

also klar, ich finde Sie interessant.

Ich laufe.

Ich liebe es.

Laufen gibt mir ein Gefühl, als wäre ich high.

Haben Sie Erfahrung mit Drogen?

Das ist meine nächste Frage.

Total viel.

Ich würde nicht alles aufschreiben. -Nein.

Wir hätten uns besser in Grenoble getroffen.

Schon gut. Ich mache mir Notizen.

Ist das das Interview, das Sie mit Frau Voyter führten?

Ja.

Sie will nicht über sich sprechen,

obwohl Sie deswegen da waren.

Ich wollte mit ihr über ihre Arbeit reden.

Ja, aber was wollte sie mit den ständigen

Themenwechseln erreichen, Ihrer Meinung nach?

Man hört es. Sie stellt Fragen über mich.

Sie sprach lieber über mich als über sich.

Animierte sie Sie, von sich zu reden? -Animieren...

Nein, das würde ich nicht sagen.

Sie manipulierte mich nicht, war entspannt.

Es war ganz natürlich. Sie hatte Spass.

Sie bot Ihnen um 13:45 Uhr ein Glas Wein an.

Hatte sie vorher schon getrunken?

Ich glaube schon.

Sie wollte also unbedingt,

dass Sie sich wohl fühlen, obwohl Sie da waren,

um eine Schriftstellerin zu interviewen?

Nein, das würde ich nicht sagen.

Ich hatte eher den Eindruck, dass Sandra, Frau Voyter,

Druck loswerden wollte. -Druck loswerden?

Wussten Sie, dass Sandra bisexuell ist?

Nein.

Merkten Sie es? -Nein.

Wenn Sie das Gespräch jetzt hören, würden Sie

dann sagen, dass sie mit Ihnen flirtete?

Sie erzählte mir, dass sie

kein Sozialleben hat und keine Möglichkeit,

Leute kennenzulernen.

Man könnte also sagen, es war eine Art Flirt.

Das Gericht will wissen, ob Sie es so nennen würden.

Flirten kann Verschiedenes bedeuten.

Aber der Begriff beinhaltet immer eine Art...

Flirt. -Die Antwort der Zeugin

zu ihrem Verständnis des Begriffs ist klar.

Frau Voyter sagte, dass sie sich für Sie interessiert.

Und dass sie das Interview in Grenoble führen möchte.

Meinen Sie nicht... -Sie hat die Frage beantwortet.

Nicht klar. Bitte antworten Sie, Fräulein Solidor.

Frau Solidor, bitte.

Reduzieren Sie mich nicht auf meinen Personenstand.

Selbstverständlich. Das war keine Absicht.

Es fühlte sich nicht wie ein Flirt an.

Und im Nachhinein?

Ich fand's nur ungewöhnlich, nichts weiter.

Wie wirkte die Musik von Samuel Maleski auf Sie?

Es war eine gewisse Spannung zu spüren. Herr Maleski

drängte sich auf, obwohl er nicht anwesend war.

Und Sandras Reaktion... -Wie reagierte sie?

Sie war genervt.

Wieso spielte er immer das gleiche Stück?

Er hatte es auf Dauerschleife.

Was Sie nicht sagen.

Aber wie wirkte es auf Sie?

Irgendwie merkwürdig.

Ich war weniger...

Ich war nicht mehr so entspannt.

Die Stimmung war also angespannt.

Sie sind pingelig. -Ich will nur eine klare Antwort.

War die Stimmung angespannt? -Ja.

Denken Sie, dass Herr Maleski mit seiner Musik

das Interview stören oder unterbrechen wollte?

Das war mein erster Gedanke, ja.

Aber es lässt sich kaum erahnen,

was jemand beabsichtigt, den man nicht sieht.

Das ist genau mein Job!

Sandra Voyter,

sie wollten das Interview in andere Bahnen lenken.

Stimmt das? -Das ist eine Suggestivfrage.

Ich flirtete nicht mit ihr.

Das war nicht meine Frage.

Sie hatten es lustig, lachten, tranken Wein.

Wollten Sie dem schwierigen Alltag entfliehen,

indem Sie sich mit dieser jungen Frau amüsierten?

Das Interview war nicht Frau Voyters Idee.

Antworten Sie, Frau Voyter.

Ja, ich bewunderte sie.

Ich hatte schon lange niemanden mehr kennengelernt.

Und ja, ich brauchte etwas zu trinken.

Diese Person war intelligent und nett, nichts weiter.

Das Interview reichte wohl kaum für eine Diplomarbeit!

Sie hatte nur eine gute Zeit mit einer Studentin,

deren Fragen sie nicht vom Hocker hauten.

Spielte Herr Maleski diesen Song so aggressiv,

weil er eifersüchtig auf Sie

oder Frau Solidor war?

Es handelte sich um ein Cover von P.I.M.P. von 50 Cent,

ein äusserst frauenfeindlicher Song.

Es war eine Instrumentalversion. -Bitte antworten Sie.

Könnte die Songauswahl Ausdruck von Eifersucht sein?

Ja.

Er hörte diesen Song oft. Es war wohl kaum Absicht.

Laute Musik entspannte ihn.

Er hatte extra einen guten...

Was heisst "Lautsprecher"?

Lautsprecher montiert. Tut mir leid.

Er arbeitete viel, es war laut...

Frau Solidor sagte, Sie beendeten das Interview deshalb.

Stimmt das? -Das hat sie nicht gesagt.

Es irritiert mich,

dass die Verteidigung gegen jede Frage

Einspruch erhebt.

Frau Voyter, beantworten Sie die Frage.

Die Musik war sehr laut.

Und als der Song immer wieder von vorne anfing,

wusste ich, dass es so weitergehen würde.

Wir konnten kaum mehr reden.

Also...

brach ich das Interview ab.

Und ich war müde. Und ein wenig...

angetrunken, vom Wein.

Wieso fragten Sie ihn nachher nicht,

wieso er das tat?

Weil das ganz normal war. -Nein.

Sie amüsieren sich mit einer jungen Frau,

während er oben arbeitet,

das ist weder normal noch neutral.

Sie mögen Frauen. Und hatten ihn kurz zuvor betrogen.

Das ist irrelevant. Und sexistisch.

Ich hätte das Gleiche von einem jungen Mann gesagt.

Die Konfliktsituation des Paares ist relevant für uns.

Offensichtlich stimmte da was nicht.

Sie gingen in Ihr Zimmer, arbeiteten und schliefen.

Direkt unterhalb der ohrenbetäubenden Musik,

die Sie dazu zwang, das Interview abzubrechen.

Wieso genau an diesem Ort in diesem riesigen Haus?

Das ist mein Arbeitsort. Ich arbeite immer im Bett.

Beschwerten Sie sich nicht, als Samuel zu Ihnen kam?

Solch ohrenbetäubende Musik ist doch nicht normal.

Ich bin mich das gewohnt. Ich wollte arbeiten,

also setzte ich Ohrstöpsel ein. Das ist normal.

Ich kann in jeder Situation arbeiten.

Sie sagten, Sie waren müde und angetrunken.

Trotzdem arbeiteten Sie? -Ja.

Aber nicht lange. Ich musste eine Übersetzung liefern.

Ich stellte sie fertig, bevor ich mich hinlegte.

Wie gesagt, ich kann immer und überall arbeiten.

Und schlafen, wie es scheint.

Für Sie war die Welt also in Ordnung.

Ich bin fertig.

Ich habe keine Fragen.

Daniel, vorher sagtest du was anderes.

Zoé Solidor sah, wie du aus dem Haus gingst.

Und deine Mutter sprach erst danach mit deinem Vater.

Ich habe mich geirrt.

Du hast dich geirrt.

Wir haben ein Problem, Daniel. Okay?

Du konntest nicht gleichzeitig an zwei Orten sein.

Ich glaube, ich ging zurück ins Haus.

Vor der Nachstellung warst du dir aber sicher.

Du sagtest:

"Ich kann die Tapes

genau unterscheiden."

Und: "Ich stand unter dem Fenster.

Ich weiss, was ich gehört habe." Dann,

bei der Nachstellung, sagtest du was ganz anderes.

Wie erklärst du dir das?

Ich dachte, ich wüsste, wo ich war, aber...

Vielleicht hat mich der Schock verwirrt.

Der Psychiater, bei dem Daniel war,

meint, der Schock hat seine Erinnerung beeinflusst.

Selbstverständlich.

Weisst du noch, wieso du zurück ins Haus gingst?

Ich hatte die Handschuhe oder das Handy vergessen.

Du bist aber nicht sicher?

Nicht so ganz.

Erst warst du dir sehr sicher, dann gar nicht mehr,

was deine Erinnerungen an diesen Tag anbelangt.

Das ist problematisch.

Wegen einer falschen Erinnerung

stellen Sie alle seine Erinnerungen in Frage.

Was soll das heissen?

Dass der Schock schreiende Stimmen in ruhige verwandelt?

Dass er zum Schutz seiner Mutter gelogen hat? -Nein.

Ich weise bloss auf die Unsicherheit des Zeugen hin.

Man darf sich doch Gedanken machen.

Daniel sagte, wenn seine Eltern streiten, geht er.

An diesem Tag jedoch verliess er das Haus

noch bevor es Streit gab.

Er hat also nichts gehört.

Ich ging, weil die Musik zu laut war.

Er hat erzählt, was er gehört hat.

Und dabei ist er auch geblieben.

Der Psychiater und der Augenarzt sagten,

Daniel hat ein ausgezeichnetes auditives Gedächtnis.

Frau Justizbeamtin,

die Skizzen von Herrn Balard, bitte.

Sie können anfangen.

Das entscheidende Element sind die drei Blutspritzer

auf dem Schuppen, die man auf der Skizze sieht.

Können Sie den Schuppen heranzoomen?

Sie sehen aus,

als wären sie von weit oben gekommen.

Sie sind lang und schmal.

Der längste ist vier Zentimeter lang, was viel ist.

Unsere Tests haben ergeben,

dass die Spritzer nur dort landen konnten,

falls Herr Maleski einen Schlag auf den Kopf

auf dem Balkon im zweiten Stock erhalten hatte.

Er beugte sich über das Balkongeländer

und lehnte den Kopf weit raus, als er geschlagen wurde,

sonst wären die Spritzer nicht dort gelandet.

Anders lässt sich das nicht erklären.

War der heftige Schlag die Ursache für den Sturz?

Wahrscheinlich wurde er erst geschlagen

und dann runtergestossen. -Der Angreifer

war wohl ausser sich, dass er ihn

nach diesem heftigen Schlag auch noch runterstiess?

Ich denke schon. Sonst wäre das kaum vorstellbar.

Wut mobilisiert ungeahnte Kräfte.

Das Balkongeländer ist 1.2 m hoch.

Also ungefähr so.

Herr Maleski war 1.82 m gross und wog 85 kg.

Wenn ihn jemand über das Geländer

gestossen hat, war es also Absicht, oder?

Es war ganz klar Absicht.

Ein so heftiger Schlag kann kein Versehen sein.

Mit "Absicht" meinte ich

sehr koordiniert. Systematisch.

Seine Beine mussten angehoben werden,

und das ist schwierig, wenn jemand ausser sich ist

vor Wut. -Wut und Absicht schliessen sich nicht aus.

Er hatte evtl. schon das Gleichgewicht verloren.

Am Sturz war neben dem Schlag vielleicht

auch seine instabile Position schuld.

Wir haben nichts Wesentliches...

Ausser diese drei Blutspritzer.

Alles andere sind

Vermutungen zur Erklärung der Spritzer, oder?

Ja, aber anders lässt es sich nicht erklären.

Das war eine Hypothese, keine Erklärung.

Eigentlich zwei Hypothesen.

Mit und ohne absichtliches Runterstossen.

Was für eine Waffe wurde verwendet?

Ein schweres Objekt aus Metall oder hartem Holz

mit einer scharfen Kante.

Wurde ein solches Objekt am Unfallort untersucht?

Sie wissen genau, dass keine Waffe gefunden wurde.

Keine weiteren Fragen.

Es gibt zwei mögliche Erklärungen für die drei Spritzer.

Entweder kommen sie von hier, als Folge eines Schlags.

Oder sie kommen daher, dass der Schädel

ungefähr hier auf dem Dach aufprallte.

Die erste Hypothese ist unwahrscheinlich. Sie stimmt

nicht mit der Form und der Dynamik der Spritzer überein.

Bei der zweiten Hypothese gilt es,

das Aufschlagen durch den Aufprall

auf dem Dach zu berücksichtigen.

Dieses Video entstand vor Ort.

Wie die Nachstellung mit einer Puppe zeigt,

dreht sich der Körper bei einem solchen Aufprall.

Und als sich der Körper

einen Sekundenbruchteil nach dem Aufprall drehte,

entstanden die drei Spritzer an dieser Wand.

Ich glaube, dass Herr Maleski

aus dem Dachfenster stürzte. Sonst

wäre er nicht auf dem Dach aufgeschlagen

und hätte keine so schwere Verletzung.

Sie sagen "ich glaube".

Das ist also nur Ihre Meinung.

Wie erklären Sie sich, dass keine DNA-Spuren

gefunden wurden am Ort des Aufpralls?

Ich zeig's Ihnen. Wir führten einen Test

unter vergleichbaren Bedingungen durch.

Zur Zeit des Vorfalls war da eine Eisschicht

unter einer dicken Schneeschicht.

Der Schnee heizt sich auf und schmilzt.

Nach einer Stunde und 50 Minuten

laufen die Rückstände am Ort des Aufpralls

mit dem Schmelzwasser runter

und vermischen sich mit dem Blut in diesem Bereich.

Die andere These bezeichnen Sie als "unwahrscheinlich".

Aber ist sie unmöglich?

Nein, aber höchst unwahrscheinlich. -Also möglich.

Es ist auch möglich, dass ich Präsidentin werde.

Schon gut, danke. -Ich sagte unwahrscheinlich,

denn gemäss Ihrer Hypothese

könnten die drei Blutspritzer nur erklärt werden,

wenn Herr Maleskis Kopf

ca. 80 cm über das Geländer hinausgeragt wäre.

Das heisst, der Angreifer hätte ihn gezwungen,

sich hinauszulehnen,

und ihn so gegen das Geländer gedrückt,

dass sein Oberkörper sich nach hinten beugte.

Der Angreifer lehnte also auch über das Geländer,

während er ein schweres Objekt hielt

und kräftig auf das Opfer einschlug.

Aus diesen Gründen,

und auch wegen der Körpergrösse der Angeklagten,

ist diese Hypothese höchst unwahrscheinlich.

Aber nicht unmöglich.

Daniel, ich muss mit dir reden.

Du hast persönliches Interesse an diesem Fall.

Bis jetzt durftest du beim Prozess mit dabei sein.

Aber morgen wird es schwierig.

Das, worüber wir sprechen, solltest du nicht hören,

deshalb nimmst du morgen nicht am Prozess teil.

Ich kann alles hören. -Was?

Ich kann alles hören.

Ach ja? -Ich bin vorbereitet.

Aber würdest du es auch verkraften?

Wir müssen arbeiten.

Wir müssen unsere Arbeit in Ruhe machen können.

Ich habe den Prozess nie gestört. -Gestört...

Darum geht es nicht.

Wir müssen frei heraus reden können.

Wir müssen über alles reden können,

ohne Angst, dir wehzutun.

Mir wurde bereits wehgetan.

Und deshalb muss ich...

alles hören, um darüber hinwegzukommen.

Es geht nicht darum, dass du alles hörst.

Es geht darum, die Wahrheit herauszufinden,

ohne uns selber zu zensieren.

Haben Sie sich bis jetzt zensiert?

Sie können mir verbieten, zu kommen,

aber ich bekomme trotzdem alles mit.

Im TV, im Radio, im Internet.

Ich gebe nicht auf.

Frau Voyter, Sie sagten, dass Ihr Mann sich

vor sechs Monaten umbringen wollte.

Überraschenderweise fiel Ihnen das erst jetzt ein.

Können Sie beschreiben, was passierte?

Ein paar Wochen nach dem Absetzen seiner Medikamente

fand ich ihn auf dem Boden liegend.

Sehr früh am Morgen, in seinem Zimmer.

Er hatte sehr viel getrunken

am Abend vorher und war eingeschlafen.

Er hatte erbrochen, und im Erbrochenen war Aspirin.

Die Tabletten hatten sich fast aufgelöst.

Erst wusste ich nicht, was es ist.

Aber später fand ich

die leeren Packungen in der Küche im Müll.

Ich putzte und brachte ihn ins Bett.

Als es ihm wieder besser ging,

wollte er nicht darüber reden.

Er sagte nur, er habe die Medikamente zu früh abgesetzt.

Ihr hattet separate Schlafzimmer?

Es war sein Büro, und normalerweise schlief er dort.

Okay. Und was wollten Sie so früh in seinem Zimmer?

Ich wache immer früh auf, er manchmal auch.

Ab und zu nutzten wir diese Zeit zum Reden.

Um 6 Uhr morgens? -Ja, wenn sein Licht an war.

Wir teilten uns nicht das Bett, standen uns aber nah.

Es kam oft vor,

dass ich bei ihm im Büro schlief.

Ich wollte mir einen Kaffee machen

und sah, dass seine Türe offen stand.

Ich sah ihn dort am Boden liegen.

Hat ihn sonst niemand gesehen?

Danke, Sie können sich wieder setzen.

Wusstest du das?

Welches Antidepressivum nahm er?

Escitalopram, 20 mg pro Tag.

Und er wollte es absetzen? -Ja.

Ungefähr sieben Monate vor seinem Tod.

Wir setzten es langsam ab, und er kam jede Woche vorbei.

Hatte er Suizidgedanken?

Nein, Samuel war nicht depressiv.

Escitalopram war eine Art emotionaler Schutzschild,

der ihm half, den Unfall seines Sohns zu verarbeiten.

Könnte der plötzliche Entzug

der Auslöser für einen Suizidversuch sein?

Theoretisch ist alles möglich,

aber wieso sollte er mich bitten, ihm beim Absetzen

zu helfen, dann plötzlich damit aufhören

und mir nichts davon sagen?

Hatten Sie schon mal einen Patienten, der Suizid

beging oder es versuchte?

"Suizid begehen"

umschliesst beides, den Versuch und die Vollendung.

Vielen Dank für diese Ausführung.

Nein, noch nie. -Ausser Herrn Maleski,

um den es bei dieser Befragung geht.

Sie sind jedenfalls kein Experte in Sachen Suizid,

ob versucht oder vollendet.

Ihr Mann wollte nicht mit Ihnen darüber reden

und sagte offenbar auch sonst niemandem etwas. Wieso?

Weil er sich schämte. Er hatte viele...

Das ist zu kompliziert. Darf ich Englisch reden?

Danke.

Er schämte sich.

Samuel hatte ein Problem mit Schamgefühlen.

Es ist kompliziert.

Das Unterrichten frustrierte ihn, es war eine Last.

Und er wollte schreiben.

Er arbeitete jahrelang an einem Roman,

vor und nach Daniels Unfall.

Ich las, was er schrieb,

und sagte ihm, dass ich es gut finde.

Aber von einem Tag auf den anderen

konnte er nicht mehr und hörte auf.

Er hielt sich für einen Feigling

und machte sich schlecht.

Er glaubte, dass er nicht schreiben kann

wegen seiner Medikamentensucht,

weshalb er sie loswerden wollte. Er konnte nicht...

Ich bin noch nicht fertig.

Er konnte nicht über den Suizidversuch reden,

weil ihn das Gefühl des Versagens zu sehr schmerzte.

Das erwähnte er nie. Kein einziges Mal.

Er gab Ihnen die Schuld für seine Tablettensucht.

Es machte ihn verrückt.

Wir entschieden es zusammen.

Sie sind die Ursache des Problems.

Samuel kam zu mir, weil er sich schuldig fühlte,

und zwar vor allem, weil Sie ihm Vorwürfe machten.

Er sagte, Sie verhielten sich ziemlich "kastrierend".

Er sollte für den Unfall büssen,

indem er das aufgab, was ihm am allerwichtigsten war:

das Schreiben.

Es war eine emotionale Achterbahnfahrt.

Sie ermutigten ihn tatsächlich

zum Schreiben und wollten, dass er Erfolg hat.

Aber andererseits hätten Sie das nicht ertragen.

Das ist das Problem. Vielleicht war es unterbewusst.

Sie machten ihn für alle materiellen

und psychologischen Folgen des Unfalls verantwortlich.

Als hätten Sie gesagt: "Das ist dein Problem.

Du bist schuld. Kümmere dich darum.

Ich will davon nichts wissen, ich will nur schreiben."

Die materiellen Folgen

hat Frau Voyter zusammen mit ihrem Mann getragen.

Wir haben alle Bankauszüge, Gesundheitskosten usw.

Es geht auch um die emotionale Belastung.

Verantwortung, Sinnhaftigkeit,

Angst.

Das Ungleichgewicht war für Samuel unerträglich.

Ihre Patienten sagen also immer die Wahrheit?

Fragten Sie sich

als Psychoanalytiker nie, ob Samuel Maleski

dieses Ungleichgewicht vielleicht erfunden hat,

um nicht schreiben zu müssen?

Mit der Zeit erkennt man, was stimmt und was nicht.

Sie haben Glück.

Tut mir leid, wenn ich Sie unterbreche.

Sie kommen hierher,

haben Ihre Meinung, und sagen mir,

wer Samuel war und was wir durchmachten.

Aber was Sie beschreiben, ist nur

ein kleiner Teil der Gesamtsituation.

Manchmal

ist ein Paar

eine Art Chaos, und alle sind verloren.

Manchmal kämpft man zusammen, manchmal allein

und manchmal auch gegeneinander, das kommt vor.

Vielleicht musste Samuel die Dinge

so sehen, wie Sie sie beschreiben.

Aber hätte ich einen Therapeuten,

würde der jetzt auch hässliche Dinge über Samuel sagen.

Aber wären diese Dinge auch wahr?

Machten Sie Ihrem Mann Vorwürfe wegen des Unfalls?

Wir hatten damals beide

sehr viele verschiedene Emotionen.

Ja oder nein?

Ja, die ersten paar Tage.

Er hätte auf Daniel aufpassen müssen.

Die ersten paar Tage?

Ihr Sohn ist fast erblindet,

und Sie machten ihm ein paar Tage lang Vorwürfe?

Ja, weil er am Unfall mit schuld war.

Selbstverständlich.

Der Arzt sprach vorher von einer tragischen Situation.

Ich weigerte mich, es so zu sehen.

Für mich war Daniel nie behindert.

Ich wollte nicht, dass er es so wahrnimmt.

Sonst hätte ich ihn dazu verurteilt,

sein Leben nicht als sein eigenes Leben zu sehen.

Doch es ist sein bestes Leben,

er hat nur dieses Leben, und es gehört ihm.

Er liest Bücher,

er ist auf den sozialen Medien, wie alle anderen Kinder,

er spielt Klavier, er träumt, er weint, er lacht.

Er ist ein lebhaftes Kind. Es geht ihm gut.

Ja, ich warf

Samuel vor, dass er seinen eigenen Schmerz

auf Daniel übertrug.

Danke.

Am liebsten würde ich die ganze Nacht trinken.

Ich auch.

Ich werde auch trinken.

Ich will vergessen. -Du bist der einzige Anwalt...

Okay, noch einmal.

Du bist der einzige Anwalt, den ich kenne.

Ist das ein guter Grund, mir dein Leben anzuvertrauen?

Ja? -Nein, aber du bist gut.

Oder? Du bist gut. -Keine Ahnung.

Du siehst aus wie ein Hund.

Was? -Ein schöner Hund.

Wie heisst das schon wieder?

Ein Basset?

Ich vertraue niemandem,

dem ich kein Tier zuordnen kann.

Ach ja? Welches Tier bin ich?

Das weiss ich noch nicht.

Wir kennen uns schon so lange,

und du weisst es immer noch nicht?

Weisst du noch, wie ich war, als wir uns kennenlernten?

Ja, klar.

Ich nicht. Wie war ich?

Du warst irgendwie verloren,

soweit ich mich erinnere.

Einsam.

Und...

ehrgeizig.

Und ich war hoffnungslos verliebt.

Ich kann mich nicht erinnern.

Du weisst, dass ich unschuldig bin, oder?

Nein, im Ernst.

Ich weiss nicht, was du denkst.

Ich denke vieles, was ich dir nicht sage.

Sonst würdest du mich feuern. -Nein, Vincent.

In deinem Kopf...

Wenn du mich so anschaust,

habe ich das Gefühl, dass du mich verurteilst.

Ich weiss nicht, was du denkst.

Ich glaube dir. Ich verurteile dich nicht.

Liebling,

ich möchte, dass du weisst, dass ich nicht...

Ich bin kein Monster, okay?

Alles, was du beim Prozess hörst,

ist...

Es ist verdreht.

So war es nicht.

Dein Vater...

Wir waren seelenverwandt.

Wir haben einander gewählt, und ich liebte ihn.

Aber wie soll ich das beweisen?

Ich hätte dich gerne davor beschützt,

damit du Kinderkram machen kannst,

noch länger Kind sein kannst.

Bitte erheben Sie sich!

Bitte setzen Sie sich.

Wir bitten den Chefermittler in den Zeugenstand.

Er sagt, dass es wichtig ist.

Bitte setzen Sie sich.

Wenn der Chefermittler da ist,

fangen wir mit der Befragung an.

Frau Justizbeamtin, das Beweisstück 31.

Und bitte geben Sie

den Geschworenen die Transkription des Videos.

Frau Justizbeamtin?

Das ist mein Job.

Organisiere dich. Ich werde nicht absagen.

Ich soll mich organisieren?

Wir müssen die Dinge gemeinsam planen.

Ich lasse Daniel nicht allein, wenn du nicht da bist.

Monica kann auf ihn auspassen, oder?

Drei Tage pro Woche?

Das können wir uns nicht leisten.

Ich brauche Zeit.

Nicht nur ein paar Stunden.

Ich möchte das ganze Jahr über Zeit für mich haben.

Ich kann nicht mehr.

Teil dir deine Zeit anders ein, es liegt an dir.

Wann hast du zuletzt Hausaufgaben mit ihm gemacht?

Du hast keine Ahnung,

aber diese Zeit meine ich.

Mein Buch. Es ist grad rausgekommen.

Es ist immer irgendwas.

Du bringst ein Buch raus, du schreibst,

du brauchst Zeit für dich, um ein Thema zu finden.

Ich mache das seit Jahren mit!

Ich habe nichts von meiner Zeit.

Verstehst du?

Es ist nicht meine Zeit, sondern deine!

Zwinge ich dich, zu unterrichten?

Zwinge ich dich, Daniel zu Hause zu unterrichten?

Niemand zwingt dich.

Wenn du Zeit für dich brauchst, nimm sie dir.

Ist das dein Ernst?

Ich unterrichte nur noch halb so viel, was nicht reicht.

Dann die Renovation und alles andere!

Wieso willst du nicht darüber reden?

Wieso gibst du nicht zu, dass es

an unserer Aufgabenverteilung liegt? -Du irrst dich.

Ich schulde dir keine Zeit, ich trage meinen Teil bei.

Lass uns keine Inventur machen.

Beruhigen wir uns.

Ich liebe dich.

Als du sagtest, du willst Daniel zu Hause unterrichten,

warnte ich dich.

Ich danke dir für diese grosszügige Geste,

aber du musst das nicht tun, und es zwingt dich...

Wozu? Mehr Zeit mit meinem Sohn zu verbringen?

Und das war auch gut so.

Sonst hätten wir nicht diese Beziehung zueinander.

Diese Beziehung, die ich nicht habe zu ihm, ja?

Nein, das habe ich nicht gesagt.

Ich meine nur, dass zwischen uns

vielleicht ein Ungleichgewicht besteht.

Wieso können wir nicht darüber reden?

In Beziehungen geht es nicht um Reziprozität.

Das ist naiv und deprimierend.

Und darüber zu sprechen, ist Zeitverschwendung,

angesichts deines Zustands.

Mit dem ganzen Blabla verlierst du noch mehr Zeit.

Du jammerst herum,

könntest aber in dieser Zeit was ganz anderes machen,

wenn du wüsstest, was du willst.

Ich will Zeit zum Schreiben, wie du.

Mach doch. Ich kenne keinen Schriftsteller,

der wegen Kindern und Einkäufen nicht schreibt.

Hör auf zu jammern

und mir die Schuld zu geben, weil du was verpasst hast.

Wir leben zusammen, ich plane mein Leben um dich herum.

Wenn ich dir zumuten würde, was du mir zumutest,

könnte keiner von uns schreiben.

Keine Sorge, ich kann immer und überall schreiben.

Perfekt. Dann pass dich doch an.

Das mach ich ja, ich bringe Daniel zur Schule.

Einmal pro Woche. -Am Dienstag ist Monica hier.

Du bist nicht ehrlich.

Du hackst auf mir rum. -Ich habe dir zu viel gegeben.

Zu viel Zeit, zu viele Zugeständnisse.

Ich will diese Zeit zurück. Du schuldest sie mir!

Sorry, nein. Spinnst du?

Ich schulde dir nichts.

Hier geht's um die Beziehung zu deinem Sohn.

Du hast Angst, deshalb bist du jetzt da, wo du bist.

Du wolltest hier leben und das Haus renovieren.

Du hast dir selbst eine Falle gestellt!

Ich habe dir keine Zeit weggenommen, das warst du!

Das muss sich jetzt ändern. Ich will Zeit,

damit ich wieder schreiben kann. -Mach doch.

Ein Rat: Schreib an deinem alten Buch weiter.

Das ist dein Rat? Das Buch, das du mir gestohlen hast?

Ich hab's dir gestohlen?

Du wolltest nicht mehr weiterschreiben.

Du hast meine Idee gestohlen.

Wie soll ich da weiterschreiben?

Weisst du, wie zynisch du bist?

Veröffentliche dein Buch, sag, dass es mich inspirierte,

ich steh dazu. Wenn etwas geschrieben werden muss,

muss es jemand schreiben.

Du bist ein Tier. Du gibst vor, hilfsbereit zu sein...

Schau dich an. Deine Scheissmoralpredigten...

So vergeudest du noch mehr Zeit.

Es ist eine Ehre, mich inspiriert zu haben.

Das ist das Leben, alles ist in Bewegung.

Vielleicht klaust du ja eines Tages meine Idee.

Du lebst in deiner Welt und bestimmst mein Leben.

Du zwingst mir deinen Rhythmus, dein Zeitmanagement

und sogar deine Sprache auf. Selbst da komme ich dir

entgegen. Wir sprechen zu Hause Englisch.

Das ist nicht meine Muttersprache.

Meine auch nicht.

Ja, es ist ein Mittelweg.

Ich bin keine Französin, du bist kein Deutscher.

Wir treffen uns in der Mitte, niemand hat Heimvorteil.

Deshalb Englisch.

Das kannst du mir nicht vorwerfen.

Wir leben in Frankreich. Das ist unsere Realität.

Englisch hat keinen Platz in Daniels Leben,

aber du zwingst es ihm auf, wie alles andere auch.

Wir kommen dir dauernd entgegen. -In deinem Land.

Tag für Tag muss ich akzeptieren,

dass wir in deinem Heimatort leben!

Die Leute hier schauen auf mich herab,

wenn ich sie nur schon anlächle.

Meinst du nicht, dass ich dir wahnsinnig entgegenkomme?

Du lächelst nie jemanden an.

Deshalb liebst du mich ja, oder?

Hättest du wen gewollt, der deine Freunde anlächelt,

wäre deine Wahl nicht auf mich gefallen.

Du schämst dich nie. Das ist deine Superkraft.

Du siehst niemanden ausser dich.

Ich sehe dich klar und deutlich, aber nicht als Opfer.

Du zwingst mir

dein Leben, deine Sprache, dein Essen auf.

Selbst deinen Sex.

Wir vögeln immer auf die gleiche Art.

Ich muss tun, was du willst, denn wir sind ein Paar.

Was weiss ich, was ein Paar ist?

Ich hindere dich daran zu vögeln, wie du willst?

Echt jetzt? -Ja.

Wer wollte seit dem Unfall keinen Sex mehr?

Ich rede von vorher.

Was wollte ich beim Sex nicht machen?

Alles.

Und ich muss akzeptieren, dass du mit anderen schläfst.

Das stimmt nicht. -Hör auf, es zu leugnen.

Einmal. Und du klammerst dich daran fest, um zu leiden!

Mehrmals. -Du machst dich wieder zum Opfer!

Ich bin kein Opfer, aber du hast mich betrogen!

Bestohlen und betrogen.

Ich kann ohne Sex leben. Aber nicht für immer.

Das alles ist also meine Schuld, ich frustriere dich?

Es geht nicht darum, wer...

wer wem die Schuld gibt, wer wen frustriert.

Wir beide sind frustriert.

Ich will nicht innerlich verfaulen,

ich finde Lösungen.

Sex war damals nur eine Frage der persönlichen Hygiene!

Du zwingst uns deine Lösungen auf.

Es ist dir egal, ob du Daniel und mich verletzt.

Lass Daniel da raus.

Ich zwinge ihm nichts auf.

Deinetwegen leben wir hier bei den Ziegen.

Du beklagst dich über das von dir gewählte Leben!

Du bist alles andere als ein Opfer!

Hinter deiner Grosszügigkeit versteckt sich Bosheit.

Du bist enttäuscht von dir und gibst mir die Schuld.

Ich kann nichts dafür, was aus dir geworden ist!

Du opferst dich nicht auf, wie du sagst.

Du bleibst im Hintergrund, weil du Angst hast!

Dein Hirn explodiert vor lauter Stolz,

bevor es auch nur eine Idee hervorbringt!

Mit 40 wachst du auf und suchst einen Sündenbock.

Obwohl du das bist!

Deine Ansprüche und deine Angst,

zu versagen, lähmen dich. Jawohl.

Du weisst, dass ich recht habe.

Und Daniel hat nichts damit zu tun. Also hör auf!

Du bist ein Monster.

Das sagt sogar Daniel, auf seine Art.

Nimm das zurück, Arschloch.

Wusstest du, dass er dich zu streng findet?

Er sagt, was du hören willst.

Du machst dir Vorwürfe, und er will dich beruhigen,

verstehst du das nicht?

Du hast Schuldgefühle!

Du bist so kalt. Du hast kein Mitgefühl.

Dafür hast du umso mehr Mitleid mit dir.

Ich ertrage deine Kaltherzigkeit nicht mehr!

Du bist brutal! -Ja!

Okay...

Woher haben Sie dieses Video?

Von einem USB-Stick, der dem Opfer gehörte.

Auf seinem Handy sind mehrere Dutzend Videos.

Er zeichnete seit sechs Monaten sein Leben auf.

Offenbar für ein Buchprojekt.

Hat er alle Aufnahmen transkribiert?

Ja, ausser diesen letzten Streit.

Hat dieser Streit etwas mit seinem Tod zu tun?

Ja. Beides passierte innerhalb von 20 Stunden,

und es ging ums Gleiche. Er wirft ihr Untreue vor.

Am nächsten Tag hat sie Besuch von einer jungen Frau.

Die Literaturstudentin

will Sandra Voyter über ihre Bücher interviewen.

Die Situation war angespannt.

Die beiden Frauen

hatten Spass, während er hart arbeitete.

Der Streit ist eine Art Generalprobe.

Was hört man Ihrer Meinung nach auf dem Video?

Schläge.

Eine körperliche Auseinandersetzung, sie schlägt ihn.

Wie sind Sie zu diesem Schluss gekommen?

Sie scheint aggressiver zu sein als er.

Wie bitte? -Sprechen Sie direkt zum Gericht.

Sie ist ganz klar aggressiver als er.

Ihr Geschrei am Ende ist der letzte Schritt

vor der Anwendung von körperlicher Gewalt.

Anschliessend herrschte Chaos, aber wir hören,

wie ein Körper oder ein Gesicht geschlagen wird,

und wie Herr Maleski schreit.

Sie sagten, dass Frau Voyter Hämatome hatte.

Beweisstück 9, bitte.

Diese Fotos entstanden an dem Tag, als ihr Mann starb.

Wie erklärte sie die Hämatome?

Sie sagte, dass sie sich in der Küche gestossen hat.

Wir meinten dann, dass das Hämatom am Handgelenk

eher nach den Spuren eines Kampfs aussieht.

Als wir ihr dann das Video zeigten,

gab sie zu, dass das Hämatom von ihrem

Streit war. -Das heisst, Sie haben gelogen?

Ja.

Ich hatte Angst,

dass Sie mich

verdächtigen würden, wenn ich ehrlich bin.

Sie wussten nichts von der Aufzeichnung des Streits.

Sie haben zweimal gelogen.

Bezüglich des Hämatoms und des Streits.

Für mich war das nur eine Lüge.

Wäre ich ehrlich gewesen, hätte ich vom Streit erzählt.

Ich wollte nicht, dass Sie mich für schuldig halten.

Wie jeder Schuldige.

Wann sind die Hämatome entstanden?

Der Arzt untersuchte sie erst einen Tag später.

Es war zu spät, um das festzustellen.

Es wäre also möglich, dass die Hämatome

bei einem weiteren Streit am Todestag entstanden.

Was hört man am Ende des Streits?

Zuerst ein Glas, das zerbrach,

als ich es an die Wand warf.

Ein Weinglas, das auf dem Tisch stand.

Dann gab ich meinen Mann eine Ohrfeige.

Er griff ziemlich brutal nach meinem Handgelenk.

Das ist der Kampf, den man hört.

Dann warf er Bilderrahmen

auf den Boden und man hört, wie sie zerbrechen.

Haben Sie Ihren Mann noch weiter geschlagen?

Anschliessend hört man,

wie sich Samuel ins Gesicht und an den Kopf schlägt

und dann gegen die Wand boxt.

Die Delle ist immer noch zu sehen.

Es war nicht das erste Mal, dass er das tat.

Vor ein paar Jahren brach er sich einen Finger,

als er eine Krise hatte und gegen die Wand schlug.

Die Fotos der Dellen finden Sie im Dossier.

Danke. -So.

Und das sind die Röntgenbilder

des gebrochenen Fingers vom Juni 2017.

Könnte man also sagen, dass Ihre Darstellung der Gewalt

eine Interpretation ist und somit nicht objektiv?

Sie log uns mehrmals an, und ich glaube nicht...

Sie sagen "ich glaube nicht".

Es ist also eine subjektive Meinung

aufgrund eines nicht eindeutigen Videos.

Sie bringen den Streit mit dem Todesfall in Verbindung.

Sie reden von "Generalprobe".

Haben Sie unmittelbare Beweise?

Das Video beweist, dass es einen Streit gab.

Ich rede vom Tag des Todes.

Wir haben weder Zeugen noch ein Geständnis.

Die gewaltsame Auseinandersetzung

existiert also nur in der Fantasie.

Sie und der Staatsanwalt bauen diese Idee

um die Fakten herum auf,

bis sie vor Gericht omnipräsent ist, aber...

Schon bald halten wir das für die Realität,

weil es tatsächlich einen Streit gab

am Tag bevor Herr Maleski starb.

Wir dürfen die Tage nicht verwechseln.

Wir dürfen die Lücken nicht mit Vermutungen füllen,

nur weil wir etwas hören und etwas anderes nicht.

Frau Voyter, wussten Sie,

dass er das Gespräch aufzeichnete?

Nein, aber ich wusste,

dass er häufig Aufnahmen von uns machte.

Sagte er es Ihnen jeweils nicht?

Was waren das für Aufnahmen?

Am Anfang sagte er es uns.

Aber danach nicht mehr.

Er zeichnete Gespräche auf,

Daniels Klavierstunden und manchmal

auch seine Selbstgespräche.

Ich glaube, er wollte so Material sammeln,

um wieder anfangen zu schreiben.

Im Nachhinein halte ich es für möglich,

dass er den Streit provozierte, um ihn aufzunehmen.

Heisst das, Sie sind das Opfer eines Spinners?

Wie bitte?

Er nahm sie heimlich auf. Die Frage ist also berechtigt.

Sie vergessen, wie abartig die Situation ist.

Vom Opfer zur Angeklagten! -Meine Klientin hat Recht.

Was meint er damit, dass Sie ihn betrogen haben,

und wie fand er es heraus?

Er fand auf meinem Handy Nachrichten

einer Frau, mit der ich mich anfangs Jahr traf.

Was heisst "traf"?

Wir schliefen zweimal miteinander.

Zweimal? -Ja.

Im Video redeten Sie von einmal.

Damit meinte ich, dass es eine Person war.

Moment...

Samuel erwähnte mehrere Affären.

Das tönt, als hätten Sie ihn pausenlos betrogen.

Das stimmt nicht. Ich hatte ein paar Techtelmechtel

nach Daniels Unfall.

Und ich betrog ihn nicht, denn Samuel wusste es.

Er fand's jeweils heraus?

Nein, ich sagte es ihm.

Es war ein schwieriges Jahr.

Und er war tatsächlich damit einverstanden?

Das sage ich nicht, ich sage nur, dass ich ehrlich war.

Interessant.

Wieso waren Sie vor seinem Tod nicht mehr ehrlich?

Es war eine andere Situation.

Ich hatte das Gefühl, es würde ihn zu sehr verletzen.

Weil Sie Gefühle für diese Frau hatten?

Nein, weil er zerbrechlich war.

Mit ihr war es rein sexuell.

Gefühle hatte ich nur für Samuel.

Interessant.

Ich versuche, das zu verstehen.

Erst einigten Sie sich auf eine offene Beziehung,

dann aber nicht mehr?

Ich weiss nicht, was Sie damit sagen wollen.

Wir hatten nie eine derartige Abmachung.

Nach dem Unfall versuchten wir,

uns zu erholen.

Ich brauchte dazu Sex, und ich war ehrlich.

Dann aber nicht mehr, und er zog Sie zur Rechenschaft.

Auf mich wirkte er nicht "zerbrechlich".

War er eifersüchtig? -Ja.

War er besessen?

Nein. Keine Ahnung. Er war verletzt.

Wenn wir stritten, sprach er's manchmal an.

Aber er dachte nicht dauernd darüber nach.

Sie denken, dass ich an all seinen Problemen schuld bin.

Das stimmt nicht, sein Schmerz sass tiefer.

Wie wir hörten, gibt er Ihnen auch die Schuld.

Was meint er damit, dass Sie sein Buch gestohlen haben?

Nein, ich habe sein Buch nicht gestohlen.

In seinem Buch, an dem er nicht weiterschrieb,

gab es eine interessante Stelle...

Stelle? Wie viele Seiten?

Circa 20.

27.

Es war nur ein Entwurf. Ich fand die Idee genial.

Worum ging es?

Ist diese literarische Diskussion wirklich nötig?

Nicht literarisch, sondern sehr konkret.

Darum dreht sich ihr Konflikt.

Es geht darum, dass es die Geschworenen verstehen.

Okay. Fahren Sie fort.

Ein Mann stellt sich vor, wie sein Leben verlaufen wäre,

wenn sein Bruder nicht bei einem Unfall gestorben wäre.

Eines Tages wacht er in zwei Realitäten auf.

In einer gab es den Unfall,

in der anderen nicht.

Ich sagte Samuel, dass ich die Idee liebe.

Damals las ich immer alles, was er schrieb.

Kurz darauf hörte er auf, an diesem Buch zu schreiben,

und er sagte,

dass ich die Idee übernehmen dürfe.

Dann hätte er nicht von Diebstahl geredet.

Wir haben uns gestritten.

Bei einem Streit übertreibt man gerne.

Aber Sie machten sein Buch zu Ihrem: Die Eklipse.

Ich übernahm nur die Idee.

Bei mir geht es um eine Frau und ihre Tochter,

und die Geschichte ist 300 Seiten lang.

Ich erkläre Ihnen doch nicht den Unterschied

zwischen einem Entwurf und einem Roman. Er sagte ja.

Und er sagte, dass ich was anderes daraus gemacht hätte.

Wenn wir stritten, sprach er es wieder an, weil er

traurig war, dass er nicht schreiben konnte.

Wir wissen nur, dass er es ansprach.

Gab es noch einen Streit

zwischen dem aufgezeichneten Streit und seinem Tod?

Die Situation war sicher sehr angespannt.

Wir beide

waren sehr aufgewühlt.

Jeder blieb für sich, und Samuel war...

Etwas war kaputt. Er war erschöpft,

hatte keine Energie mehr.

Im Video

argumentiert Samuel Maleski energisch.

Er will sein Leben wieder in die Hand nehmen.

Er tönt nicht wie jemand, der aufgeben will.

Der Psychiater betonte

Samuels kürzlichen Kampfgeist.

Kämpft man um Selbstachtung und bringt sich dann um?

Bringt man sich nach einem erbitterten Streit um

eine ausgewogene und faire Beziehung um? Nein.

Das ist die grosse Schwachstelle der Suizidtheorie.

Sie sagten, dass er erschöpft war.

Dass er keine Energie mehr hatte.

Ich möchte aus einem Buch von Frau Voyter vorlesen,

"Das schwarze Haus". -Hier geht es um Fakten.

Das ist eine Gratwanderung.

Hier ein Zitat von Sandra Voyter aus dem Jahr 2017:

"Ich erzähle von meinem Leben und meinen Mitmenschen."

Einspruch! Ihre Werke sind fiktiv.

Ihr erstes Buch erzählt vom Tod ihrer Mutter,

das zweite von einem Streit mit ihrem Vater,

das dritte vom Unfall ihres Sohns usw.

Ihre Bücher sind ein Teil des Prozesses.

Sie erzählen von ihrem Leben, ihrer Beziehung.

Fassen Sie sich kurz.

Hier spricht eine Frau über ihren Mann.

"Er beklagte sich nicht mehr, hatte es aufgegeben.

Sie fand seine Resignation abstossend.

In ihrem Kopf formte sich ein rettender Gedanke:

sein mögliches Verschwinden." -Und der Kontext?

Später: "Wie töte ich ihn?

Was ist mit der Leiche? Ist sie nicht zu schwer?

Sie konnte an nichts anderes mehr denken.

Sie sah ihn tot vor sich, begehrte ihn nicht mehr.

Diese Person, die sie geliebt hatte,

stand ihr im Weg und musste verschwinden."

Dann erkläre ich den Kontext.

Das sagt eine Nebenfigur, die den Verstand verliert,

ihre Gedanken aber nicht umsetzt.

Bücher sind nicht das Leben, Autoren nicht ihre Figuren.

Aber ein Autor kann sich durch seine Figuren ausdrücken.

Sie wiesen auf diese offensichtliche Verbindung hin.

Ist Stephen King ein Serienkiller?

Fand man seine tote Frau unter verdächtigen Umständen?

Konzentrieren Sie sich auf die Fakten!

Herr Anwalt, beruhigen Sie sich bitte.

Herr Staatsanwalt, befolgen Sie Herrn Renzis Rat.

Konzentrieren Sie sich auf die Fakten.

Abgesehen von besagter Ohrfeige,

haben Sie Ihren Mann je geschlagen?

Nie?

Das war das einzige Mal?

Sie waren immer eine gute, bewundernswerte Seele,

und versuchten selbstlos,

ihn vor seiner Selbst zu retten,

ausser auf diesem Video? So ein Pech!

Gibt es noch weitere Fragen?

Ich habe noch eine Frage.

Hat Maleski die Transkriptionen

an irgendjemanden geschickt?

Ja, an Paul Nachez, den Verleger, der seinen ersten

Roman veröffentlichen sollte.

E-Mail vom 9. August 2017:

"Ich schon wieder, schau's dir bitte an.

Bitte melde dich."

Die Antwort von Nachez:

"Schick's mir, ich werd's lesen."

Maleski schickte ihm vier Texte pro Woche.

Wie war die Kommunikation?

Nachez antwortete nie.

Er hatte viel zu tun und verstand das Projekt nicht.

Die Funkstille seines Freundes

war Gift für Herrn Maleskis Selbstwertgefühl.

Er fühlte sich abgelehnt.

Wenn man die ganzen Texte liest,

lässt sich kaum eine Handlung ausmachen.

Es ist höchstens ein Projekt.

Maleski war ein "Projektmensch".

Der Roman, mit dem er aufhörte, das Chalet...

Da wir hier Gesetz und Literatur miteinander vermischen,

und uns ausdenken, was wir nicht wissen,

stellen wir uns jetzt mal Maleskis letztes Jahr vor.

Ich fantasiere also?

Ich brauche dafür halb so lang wie Sie!

Kommen Sie zur Sache.

Was passierte in Maleskis letztem Jahr?

Nachdem sie sich in London verschuldet hatten,

will er in seinen Heimatort zurückkehren.

Er mietet ein Chalet, will die Schulden zurückzahlen.

Er will mit dem Unterrichten aufhören und schreiben.

Die Renovation ist kompliziert, sie nehmen Geld auf.

Es ist ein Teufelskreis.

Samuel unterrichtet wieder, die Renovation steht still.

Ein Jahr später fühlt er sich in die Enge getrieben.

Er ist angeschlagen.

Der Unfall seines Sohns, der Roman,

seine Frau, die ein Buch nach dem anderen schreibt...

Er muss schreiben!

Er setzt die Antidepressiva ab, dokumentiert sein Leben,

lässt sich auf eine Art Autofiktion ein,

vielleicht inspiriert von Sandras Methode.

Wieso auch nicht? Sie schreibt auch über ihr Leben.

Sie stahl seine Idee. -Das ist kein Plädoyer.

Aber er versteht nicht, dass transkribieren

nicht schreiben ist.

Er fühlt sich gedemütigt, weil sich Nachez nicht meldet.

Was hören wir beim Streit vom 4. März?

Diese Energie, dieser Mutwille... Was ist das?

Die Energie der Verzweiflung.

Das letzte Aufbäumen vor der Aufgabe.

In seinen letzten Tagen

ging es nicht um seine Ehe.

Sondern um sein Versagen.

Sandra Voyter hat sich zuschulden kommen lassen,

dass sie geschafft hat, was ihr Mann nicht schaffte.

Obwohl es sich so anhörte,

war das nicht das Schlussplädoyer von Herrn Renzi.

So war Samuel nicht.

Es ist Freitag, das Wochenende steht vor der Tür.

Ich muss aber noch eine Ankündigung machen.

Am Montag sagt Daniel noch einmal aus.

Er hat neue, interessante Informationen.

Da der Zeuge der Sohn der Angeklagten ist

und bei seiner Mutter lebt,

bitte ich alle, nicht mit ihm zu reden.

Vermeiden Sie es auf jeden Fall,

über den Prozess zu reden.

Frau Berger, Sie bleiben bei Daniel.

Sorgen Sie für die Einhaltung dieser Regeln.

Ich bestehe darauf, dass ihn niemand

nach seiner Zeugenaussage fragt.

Schönes Wochenende, gute Erholung.

Die Sitzung ist geschlossen.

Komm, wärm dich auf. -Essen in 10 Minuten!

Alles gut?

Ich möchte allein sein.

Okay.

Du kannst im Zimmer essen. -Nein.

Ich will das ganze Wochenende allein sein.

Vor der Aussage. -Allein?

Nur du und ich?

Ja?

Bist du sicher?

Wir finden eine Lösung. Das Haus ist gross.

Ich will, dass sie geht.

Ich habe mit Daniel geredet.

Er möchte dieses Wochenende allein sein.

Bis der Prozess zu Ende ist.

Willst du das wirklich?

Ist es wegen dem, was du heute gehört hast?

Ich durfte vorher nichts sagen, verstehst du?

Man hat es mir verboten.

Bitte...

Reden Sie nicht über den Prozess.

Ich rede doch nur mit meinem Sohn.

Ich verstehe, dass du Ruhe brauchst,

aber ich werde dich nicht stören.

Wir müssen auch nicht reden.

Moment.

Nicht Englisch, bitte.

Red mit mir.

Wollen wir es besprechen, und dann entscheidest du?

Er hat sich schon entschieden.

Ich hole meine Sachen.

Jemand sagte:

"Geld allein macht nicht glücklich,

aber es ist doch besser,

im Auto zu weinen als in der U-Bahn."

Wer sagte das? -Keine Ahnung.

Tut mir leid.

Los.

Friss.

Snoop...

Marge!

Marge, komm, schnell!

Was ist?

Ich habe ihm Aspirin gegeben.

Aspirin? -Ja!

Wie viel?

Acht oder zehn. Jedenfalls viel.

Er muss erbrechen. -Wieso hast du das gemacht?

Er muss kotzen!

Bitte! -Okay, warte.

Wie bringt man einen Hund zum Kotzen?

Moment.

Salzwasser. Bin gleich wieder da.

Er bewegt sich nicht. -Daniel, hilf mir.

Mach seinen Mund auf.

Vorsichtig.

Gut so.

Sehr gut.

Er kommt zu sich.

Was macht er? -Er versucht, zu erbrechen.

Gut so. Er wird schon wieder.

Braver Junge.

Er atmet. Er schaut uns an.

Wieso hast du das getan?

Weisst du,

ich wusste nichts

von Papas Selbstmordversuch.

Ich wusste nichts

vom Psychiater, den Medikamenten,

dem Erbrochenen und dem Aspirin.

Als Mama davon erzählte, kam mir etwas in den Sinn,

das um diese Zeit herum passierte.

Eines morgens

lag Snoop bei mir im Zimmer auf dem Boden.

Er bewegte sich nicht und roch nach Erbrochenem.

Ich dachte, er hat erbrochen.

Ich putzte seine Schnauze.

Ich dachte,

er hat einen Virus oder so, denn danach

benahm er sich noch tagelang komisch.

Er schlief und trank die ganze Zeit.

Vielleicht hat er Papas Erbrochenes gefressen,

und das machte ihn krank, und Mama sagte die Wahrheit!

Ich gab ihm Aspirin, um zu schauen,

wie er reagiert. Und du hast es gesehen.

Er schlief 14 Stunden lang. Jetzt trinkt er dauernd.

Und er riecht genau so wie damals!

Alles ist genau gleich!

Aber seit gestern

weiss ich nicht mehr, ob ich ihr glauben soll.

Ich wusste, dass sie stritten, aber...

Ich...

Ich wusste nicht, dass sie so aggressiv sind.

Du musst vor Gericht erzählen,

woran du dich erinnerst.

Aber du bist nur ein Zeuge.

Glaubst du, sie hat ihn umgebracht?

Ich habe nicht zu urteilen.

Ich weiss, aber sag trotzdem!

Das kann ich nicht. Ich beschütze dich...

Verdammt, hilf mir!

Wenn uns etwas fehlt,

um etwas zu beurteilen, und wenn das unerträglich ist,

können wir nur entscheiden.

Verstehst du?

Wenn man Zweifel hat, muss man sich manchmal

für die eine oder die andere Seite entscheiden.

Du musst etwas glauben und hast zwei Optionen,

also musst du wählen.

Man muss erfinden, was man glaubt?

Ja, in gewissem Sinne.

Das heisst, ich bin nicht sicher,

muss aber so tun, als ob ich sicher wäre?

Nein, du musst dich entscheiden.

Das ist was anderes.

Es ist nicht klar, wer lyrischer ist.

Die Autorin oder die Figur? -Beide!

Voyter spielt mit der Verwirrung.

Ihr zweites Buch geht weiter,

ihr Vater sagt, dass ihm ihr erstes Buch nicht gefiel.

Das stimmt sicher.

Der Streit artet aus, sie verlässt ihr Land.

Sie hat Angst vor ihrem Vater,

hat Horrorvorstellungen.

In einem Interview sagte sie mal:

"Es ist mein Job, die Spuren zu verwischen,

damit die Fiktion die Realität zerstören kann."

Ja, und die Leute finden

den Fall Maleski so spannend,

weil es so wirkt, als käme er aus ihren Büchern.

Es ist, als hätte sie den Fall geschrieben.

Die Unsicherheit in Bezug auf die Todesursache,

Voyters unergründlicher, amoralischer Charakter,

alles ist übertrieben...

Es wirkt, als käme es aus ihren Büchern.

Es spielt eigentlich keine Rolle, wie er gestorben ist.

Die Vorstellung, dass eine Autorin ihren Mann tötet,

ist viel fesselnder als ein Lehrer, der sich umbringt.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mama das tat.

Hätte es mein Vater getan,

könnte ich es verstehen.

Herr Staatsanwalt, haben Sie noch Fragen?

Das Experiment mit dem Hund ist kein Beweis.

Es wurde nicht dokumentiert.

Seine plötzlichen Erinnerungen

wurden durch den Prozess ausgelöst.

Die Ereignisse lassen sich zeitlich nicht zuordnen.

Der Zeitrahmen von sechs Monaten vor seinem Tod

hat die Angeklagte bei ihrer Aussage vorgegeben.

Ich möchte wissen...

Hast du dich nie gefragt,

ob die Überdosis, die dein Vater genommen haben soll,

kein Selbstmordversuch war,

sondern ein Vergiftungsversuch deiner Mutter?

Ich beschuldige sie nicht, ich argumentiere nur.

Wieso hast du dich für das eine

und nicht für das andere entschieden?

Deine Erinnerungen sind die Folgen, nicht die Gründe.

Ja, ich habe darüber nachgedacht, aber

es gibt keinen Grund, weshalb sie es hätte tun sollen.

Wenn die Beweise fehlen

und man sicher sein will, wie etwas passiert ist,

muss man weitersuchen, wie in diesem Prozess.

Versteht man nach gründlicher Suche immer noch nicht,

wie etwas passiert ist,

muss man sich fragen, wieso es passiert ist.

Danke, Daniel.

Bist du fertig?

Nein.

Ich möchte noch etwas sagen.

Snoop war krank und Papa und ich gingen zum Tierarzt.

Papa war im Auto sehr ruhig.

Er machte nicht einmal Musik an, wie sonst immer.

Nach einer Weile redete er über Snoop.

Er sagte:

"Er kann jederzeit krank werden.

Oder sterben. Das weisst du. Du musst vorbereitet sein."

Ich wollte nicht, dass er so redet.

Snoop ging's wieder besser. Er war noch nicht so alt.

Er war noch nie zuvor krank gewesen.

Ich sagte ihm, dass Snoop nicht stirbt.

Aber er redete weiter. Er sagte:

"Eines Tages wird es passieren. Das weisst du.

Snoop wird langsam müde.

Er ist gar nicht mehr so jung.

Weisst du, was er alles macht?

Er ist nicht irgendein Hund.

Er ist ein super Hund.

Ein grossartiger Hund.

Denk mal darüber nach. Er weiss immer, was du brauchst

und wohin du gehst,

er sorgt für deine Sicherheit.

Sein Leben besteht nur daraus,

sich um das zu kümmern, was du nicht siehst.

Vielleicht hat er's satt, immer für andere da zu sein.

Vielleicht kann er irgendwann nicht mehr.

Das ist gut möglich."

Und am Ende, das weiss ich noch,

sagte er: "Eines Tages,

wenn seine Zeit gekommen ist, geht er.

Du kannst nichts dagegen tun.

Und das wird hart.

Aber es ist nicht das Ende deines Lebens."

Er sprach von sich.

Jetzt...

Ich weiss jetzt, dass er von sich sprach.

Ich bitte die Geschworenen daran zu denken,

dass diese Informationen sehr subjektiv sind.

Sie dürfen keinesfalls als Beweis gewertet werden.

Wir sind immer noch vor dem Gericht in Grenoble.

Der Prozess hätte am Freitag enden sollen,

aber Daniel, Sandra Voyters Sohn,

wollte heute Morgen noch einmal aussagen.

Die Geschworenen sind immer noch...

Frau Voyter, wie geht es Ihnen jetzt,

nach dem Freispruch?

Es wurde viel zu viel gesagt in diesem Prozess.

Ich habe nichts mehr zu sagen.

Ich will meinen Sohn anrufen und nach Hause gehen.

Ich danke meinen Anwälten, die immer an mich glaubten.

Herr Renzi, sind Sie erleichtert?

Die Geschworenen sahen Sandra Voyters wahres Ich...

Marge, hier ist Sandra.

Ja, es ist unglaublich, wir sind erleichtert.

Möchte Daniel mit mir reden?

Klar, er ist müde, ich verstehe.

Darf ich heute nach Hause kommen?

Oder soll ich erst morgen kommen oder...

Wir gehen noch was essen, dann komme ich. Bis gleich.

Jetzt muss ich was trinken.

Noch einen!

Seid ihr...

Ist es immer so, wenn ihr gewinnt?

Wir gewinnen nie.

Das ist das erste Mal, dass wir gewonnen haben!

Nein! -Doch!

Du sagtest, du bist ein guter Anwalt.

Das stimmt nicht!

Das ist nicht scharf. -Das musst du probieren.

Ich habe zu viel gegessen. -Ich muss kotzen.

Gehen wir eine rauchen? -Bis gleich.

Du zuerst.

Gar nicht so einfach, was?

Die ganzen Gräte...

Gehen wir? Bist du bereit, nach Hause zu gehen?

Ich fahre dich nach Hause.

Noch einen. Für den Weg.

Ja, für den Chauffeur.

Noch mal das Gleiche?

Kann ich

noch zwei davon haben? Danke.

Auf dich.

Was ist?

Sag schon.

Ich dachte,

dass ich erleichtert sein werde.

Das braucht Zeit.

Bist du sicher? -Nein.

Wenn man verliert, verliert man.

Es ist das Schlimmste, was passieren kann.

Aber wenn man gewinnt,

erwartet man eine Art Belohnung.

Aber es gibt keine.

Es ist einfach nur vorbei.

Vielleicht erwartet man manchmal einfach zu viel.

Ja, vielleicht.

Hallo.

Tut mir leid.

Er wollte warten, schlief aber ein.

Ich muss gehen. -Schlafen Sie nicht hier?

Nein, ich lasse euch allein.

Wiedersehen.

Ich hatte Angst vor deiner Rückkehr.

Ich auch.